Von einer Wüste in die nächste

Unser langes Afrika-Kapitel ist nun abgeschlossen. Konkret ausgearbeitete Reisepläne haben wir nicht, eigentlich eher zwei Stichworte: São Paulo und Marilia. Ja, es geht nach Brasilien. Da wir wie immer zeitlich flexibel sind und eher auf unser Budget achten müssen, haben wir einfach den günstigsten Flug von Südafrika nach Südamerika gebucht und fliegen von Johannesburg über Abu Dhabi nach São Paulo! Wir waren beide noch nie in Brasilien und haben gar kein so richtiges Gefühl, was uns erwartet. Amazonas, Rio und Karneval sind die ersten Sachen, die uns einfallen, aber von São Paulo haben wir (noch) keine Vorstellung.

São Paulo, das sind hauptsächlich Häuser und Straßen

Die Übernachtung habe ich kurzfristig klar gemacht. Moppi und ich wechseln uns bei diesen Dingen meist ab, wer halt gerade mehr Lust dazu hat. Dieses Mal werden wir bei Marilia, einer Schauspielerin und Synchronsprecherin, wohnen. Am Flughafen in São Paulo geht’s noch kurz ins Internet, um einen Treffpunkt mit Marilia auszumachen und dann sind wir auch schon mit dem Bus unterwegs in die Innenstadt. Am Busbahnhof will sie uns abholen. Unser erster Eindruck von São Paulo ist: einigermaßen sauber, teilweise sehr modern und ziemlich dicht bebaut. Am Busbahnhof angekommen artet unser erstes Treffen mit Marilia ein bisschen in ein Suchspiel aus. Irgendwann kommt aber doch eine attraktive Dame mit blonden Harren und blauen Augen auf uns zu und nimmt uns in ihrem kleinen roten VW mit nach Hause. Zuhause, das ist in diesem Fall ein kleines, zweistöckiges, gelbes Haus, kaum vier Meter breit auf einem Hof mit acht ähnlich kleinen bunten Häusern inmitten gigantischer Wolkenkratzer. Es ist einer der vielen Gegensätze dieser Stadt. Obwohl wir eigentlich totmüde sind, tischt uns Marilia zum Abendessen noch Pão de Queijo – gebackene, traditionell brasilianische Käsebällchen auf. Total lecker! Wir sind uns auf Anhieb sympathisch, quatschen noch sehr lange und fallen irgendwann satt und völlig k.o. ins Bett. Den folgenden Tag verbringen wir in dösigem Halbschlaf in Marilias Haus, ohne auch nur einmal vor die Tür zu gehen. Der Jetlag setzt uns doch ganz schön zu.

Unser Frühstücksdealer um die Ecke

Dafür sind wir am übernächsten Tag putzmunter und erkundungsfreudig. Wir fangen langsam an: für’s Frühstück erst einmal mit dem Laden um die Ecke, der gleichzeitig Café, Bäcker, Fleischer und Kiosk ist. Marilia ist arbeiten und wir wollen nicht schon wieder ihre Küche plündern. Niemand spricht hier Englisch und Moppi und ich können kein Portugiesisch. Vor gefühlt einhundert Jahren habe ich an der Uni Spanisch gelernt, das muss ich nun wieder hervor kramen und hoffen, dass man mich versteht. Es klappt ganz gut und Moppi ist ganz froh, dass wir uns nicht überall mit Händen und Füßen unterhalten müssen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass das Gefühl verbal nicht kommunizieren zu können sehr schnell unangenehm wird. Der kleine Laden wird für uns so etwas wie das Stammcafé um die Ecke. Nach einem entspanntem Frühstück geht es weiter durch unzählige Straßenzüge, die hauptsächlich von Hochhäusern mit kleinen Läden im Erdgeschoss gesäumt sind. Wir haben kein spezielles Ziel und auch keine besonderen Pläne und schlendern einfach der Nase nach durch die Nachbarschaft. Dabei kommen wir auch an einem unscheinbaren Treppenaufgang vorbei, an dem ein einfaches Schild auf einen Friseurladen in der ersten Etage verweist. Während meine Haare mittlerweile wieder ganz ansehnlich nachgewachsen sind, hat Moppi immer noch die fixe Idee, sich eine Glatze frisieren zu lassen. Wenn er es wirklich machen will, hat er nicht mehr viel Zeit für die Entscheidung, denn wenn er in ein paar Monaten wieder arbeiten muss, hätte er doch schon gern seine normale Haartracht zurück. Wir sind nur ein paar Schritte an der Treppe vorbei, da dreht sich Moppi plötzlich um und sagt: „Ich mache es“

Sieht doch ganz passabel aus, oder?

„Uma careca“ – eine Glatze, bestelle ich für Moppi und der Friseur und die Besitzerin schauen uns ungläubig an. Moppi nickt und bedeute dem Friseur mit einem Lachen und einer eindeutigen Geste, dass das genau das ist, was er möchte. Die Besitzerin scheint total begeistert: internationale Kundschaft in ihrem kleinen Laden und dann auch noch das. Der Friseur legt los und Zug um Zug fallen die braunen Haarbüschel. Belustigt und etwas schockiert warte ich auf das Endergebnis. Krass! Ein ganz anderer Typ. Die Glatze steht ihm zwar, aber wenn er nicht gerade freundlich guckt, kann er einem echt Angst machen. Moppi schüttelt dem Friseur die Hand, bedankt sich und mit einem breiten Grinsen es geht zurück in die Öffentlichkeit.
Inzwischen ist es Mittag geworden. Wir essen eine Kleinigkeit in einem nicht zu teuren Restaurant und fangen beide an, die ersten portugiesischen Floskeln zu lernen. Als wir dann am Nachmittag von einem Gewitter mit Sturzregen überrascht werden, flüchten wir uns in ein Shoppingcenter und lernen eine wichtige Freizeitbeschäftigung der brasilianischen Mittel- und Oberschicht kennen: Shopping, Geld ausgeben, sehen und gesehen werden. Viel Spannendes gibt es hier für uns weder zu tun noch zu sehen und so warten wir das Ende des Regens ab machen uns auf den Heimweg. Marilia stutzt erst kurz als sie Moppi sieht, erkennt dann aber sofort den Grund und es gibt einiges Gelächter. In dieser Nacht wache ich kurz auf, drehe mich im Halbschlaf zur Seite und erschrecke mich total, als ich den Glatzkopf neben mir liegen sehen. An den neuen Moppi muss ich mich erst gewöhnen.

Ein paar interessantere Plätze gibt es in der Betonwüste auch

Natürlich wollen wir uns auch mal die Altstadt von São Paulo und ihre Sehenswürdigkeiten ansehen. An einem verregneten Vormittag gehen wir zu Fuß in die Innenstadt und passieren fast nur graue Hochhäuser. Ringsum nichts als Beton und kaum mal ein Fleckchen Grün zwischendurch. Diese ganze graue Kulisse drückt irgendwie auf unsere Stimmung. Die Straßen sind permanent verstopft, es ist laut und über uns hören wir fast ständig das sonores Dröhnen der unzähligen Helikopter. Ja, wer es sich leisten kann, umgeht Stau und Straßenkriminalität und lässt sich per Heli ans Ziel fliegen. Über 200 Landeplätze auf den Hochhäusern der Innenstadt machen es möglich. Probiert hätten wir das auch vielleicht einmal, aber bei unserer knappen Reisekasse ist es uns das Erlebnis dieses Mal nicht wert. Stattdessen schließen wir uns einer geführten Free Walking-Gruppe an. Das ist zwar gar nicht so unser Stil, aber in der Stadt mit der größten Kriminalitätsrate in Brasilien vielleicht doch etwas sicherer. Anfangs hören wir noch gespannt zu, aber es geht ausschließlich um mehr oder weniger berühmte Bauwerke, Praca de Sé mit seiner Kathedrale, Edifício Itália, ein Hotel-Hochhaus, die Bibliothek, das Rathaus, Platz der Republik, das Theater, die Teebrücke usw. usf. Bald sind wir gelangweilt von dieser Betonwüste, den vielen Architektennamen und den ganzen Jahreszahlen. Außerdem ist uns die Gruppe viel zu groß und unpersönlich. Als es nach anderthalb Stunden eine Pause gibt, verabschieden wir uns. Wir finden einen alten Buchladen mit einem kleinen Café im oberen Stock und bleiben dort bis zum Ladenschluss. Sehr urig, genau so etwas haben wir gesucht.

Kunst macht die grauen Fassaden vielerorts etwas lebendiger

Abends bietet uns Marilia an, wie fast jeden Abend, mit ihr auszugehen. Bisher waren wir dafür immer zu müde, aber heute Abend spielt Zaz, eine französische Sängerin, die ich sehr mag, ein Gratiskonzert im Botanischen Garten. Das kann ich mir nicht entgehen lassen, aber für Moppi ist das nichts. Er beschließt, es sich auf der Couch vor dem Fernseher bequem zu machen und die seltene Einsamkeit zu genießen. Marilia und ich fahren los. Wir sind zu spät dran und auf der Avenida Paulista, der einstigen Prachtstraße, ist natürlich mal wieder Stau. Vor dem Konzert werden wir noch bei ihren Freunden erwartet, in einer Musiker-WG, die eher einer Kunstinstallation gleicht. Alle hier sind Künstler, Schauspieler und Sänger. Beim Konzert im Botanischen Garten sehe ich nur schöne, durchgestylte, junge Menschen. Vergesst Berlin, das neue Hipstertum ist in São Paulo zu Hause! Leider sprechen Marilias Bekannte weder Englisch noch Spanisch und so beschränken sich die Gespräche auf Small Talk und Höflichkeiten, aber hauptsächlich bin ich ja auch wegen der Musik hier. Nach den brasilianischen Sängerinnen kommt endlich Zaz auf die Bühne und liefert ein tolles Konzert ab. Auf dem Heimweg fährt Marilia mit mir noch etwas durch die Stadt um mir das Ausgeh- und Rotlichtviertel zu zeigen, aber nicht ohne vorher die Wagentüren zu verriegeln. Typisch Brasilien!

Das gelbe Haus von Marilia ist kaum breiter als ihr roter Polo

So langsam machen wir uns Gedanken über die Weiterreise. Unser nächster Stopp soll Rio de Janeiro sein. Fünf Stunden braucht man mit dem Bus bis dorthin und einigermaßen günstig ist es auch. Was mal wieder nicht so einfach ist, ist das Besorgen der Tickets. Man bekommt die Tickets nur an dem Busbahnhof, an dem der Bus abfährt und das ist nicht der in der Nähe von Marilia. Als ich an letzterem nach einem Spaziergang die Tickets kaufen will, komme ich dementsprechend mit leeren Händen nach Hause. Zum Glück sind die Brasilianer so fortschrittlich, dass man die Karten auch Online kaufen kann. Selbstredend ist es damit nicht getan. Wer denkt, dass in Deutschland ein Bürokratiewahnsinn herrscht, dem sei unbedingt eine Reise nach Brasilien ans Herz gelegt. Die Onlinetickets sind zwar bezahlt, gelten aber nicht als Fahrschein. Der Ausdruck (digital zählt nicht!) muss am richtigen Busbahnhof gegen einen richtigen Fahrschein am Schalter eingetauscht werden. Abgehetzt kommen wir am Abreisetag am Busbahnhof an, aber der Busfahrer akzeptiert tatsächlich unsere selbst ausgedruckten Onlinetickets nicht. Er besteht darauf, dass wir zum Schalter gehen. Bis zur Abfahrt haben wir nur fünf Minuten Zeit, da heißt es flinke Füße machen. Moppi kümmert sich um unser Gepäck und muss im Zweifelsfall dafür sorgen, dass der Bus nicht ohne uns abfährt. Am Schalter nimmt man es ganz genau und will mir keine Tickets geben, da ich unsere Reisepässe nicht dabei habe. Die sind im Gepäck beim Bus. Irgendwie kann ich die Herrschaften dennoch überreden, mir die Fachscheine auszuhändigen, ich sprinte zurück zum Bus, wir steigen ein, die Türen schließen und los geht’s nach Rio.

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