Rio de Janeiro – ein heißes Pflaster

Unsere Busfahrt nach Rio ist recht bequem und verläuft problemlos. Hin und wieder führt uns der Weg durch hügeliges Gelände und üppige grüne Regenwälder. Irgendwann in den nächsten Wochen wollen wir auch noch in den brasilianischen Urwald und zum Amazonas, aber zunächst stürzen wir uns in den Großstadtdschungel von Rio. Dieses Mal wohnen wir bei Raizza, einer jungen Studentin, die im angesagten Viertel Lapa lebt. Sie vermietet ihr Gästezimmer an Touristen, hat aber nur (noch) wenig Lust am Austausch oder Kontakt mit ihren Gästen. Für uns ist das in Ordnung. Einfach nur wohnen, Wäsche waschen und kochen ohne viel Smalltalk ist zur Abwechslung auch ganz angenehm. Von ihrem Condo aus ist es nicht weit ins Zentrum und zu den Hauptattraktionen von Rio. Die nächsten Tage steht also Sightseeing auf dem Programm.

Ein begehbares Kunstwerk, die Escadaria Selarón

Gleich am nächsten Morgen stürzen wir uns ins Getümmel und finden recht schnell ein super Frühstückscafé. Es ist nur 10 Minuten zu Fuß von Raizzas Wohnung entfernt und wird, wie schon der Frühstücksdealer in São Paulo, regelmäßig unser erster Anlaufpunkt am Morgen. Nach einem ausgiebigen Frühstück geht es ohne festes Ziel weiter. Eher durch Zufall entdecken wir die bunte Treppe Escadaria Selarón. Was aussieht wie ein großes Kunstprojekt, ist aus der Not und dem Engagement eines einzelnen Anwohners heraus geboren. Der Künstler Jorge Selarón fing irgendwann an, die baufälligen Stufen der Treppe mit bunten Fliesen wieder instand zu setzen. Zu Beginn verwendete er weggeworfene Fliesen und Fliesentücke, die er auf dem Müll oder auf Baustellen fand und die er teilweise mit eigenen Motiven versah. Seit dem Bekanntwerden der Treppe spendeten viele Touristen Fliesen aus aller Welt. So war die Treppe lange Zeit ein sich ständig änderndes Gesamtkunstwerk mit Motiven, Weisheiten und Wünschen aus unterschiedlichsten Kulturen. Jorge Selarón ist leider Anfang 2013 verstorben.

Brasiliens Gedenken an seine im 2. Weltkrieg gefallenen Soldaten

Unsere Unterkunft ist auch nicht weit weg vom Meer. Beim gemütlichen Schlendern am Wasser und durch den Flamengo Park stoßen wir auf das Monument zu Ehren der gefallenen Soldaten im 2. Weltkrieg. Uns war bis dahin nicht bewusst, dass auch Brasilien aktiv am 2. Weltkrieg teilgenommen hat. Brasilien hat die Alliierten in Italien mit einem Expeditionskorps von 25.000 Mann unterstützt. Die Brasilianer sind sehr stolz auf ihren Beitrag, besonders, weil sie sich als einziges südamerikanisches Land im 2. Weltkrieg engagiert haben. Das Opfer sind über 460 gefallenen Soldaten. Für jeden von ihnen gibt es im Museum eine Gedenktafel. Demnächst wird es auch einen brasilianischen Kinofilm zu diesem Thema geben, allerdings werden wir dann schon nicht mehr im Land sein.

Noch unbeschwert – kurz vor dem Überfall am Strand

Der Flamengo Strand ist an diesem Vormittag mitten in der Woche fast menschenleer. Glücklich springe ich nach so langer Abstinenz wieder ins Wasser, während Moppi es sich am Strand gemütlich macht. Die brennende Sonne sorgt aber bald dafür, dass wir uns ein Stückchen in den Park zurückziehen und uns auf zwei Bänken langmachen. Ich lese ein bisschen mit dem E-Book-Reader und Moppi daddelt auf seinem Pad. Nach einer Weile spricht uns ein ziemlich unseriös wirkender Mann auf eine Massage an. Er hat nichts dabei, kein Handtuch, kein Öl, keine Tücher und wie ein Masseur sieht er auch nicht aus. Wir lehnen höflich ab und er verschwindet. Kurz darauf fragt uns ein anderer nach der Uhrzeit und verschwindet dann ebenfalls wieder. Ich finde das ganz schön komisch und habe irgendwie ein ungutes Gefühl dabei.  Unvermittelt tauchen beide weiter hinten im Park wieder auf. Als ich sehe, dass sie sich scheinbar kennen, wird mir das Ganze richtig ungeheuer. Ich dränge Moppi, unsere Sachen zusammenzupacken und zu gehen. Doch in dem Moment schlagen die beiden schon zu. Sie haben die paar Meter zu uns während des Zusammenpackens in Windeseile überwunden, springen über die Bänke und jeder packt einen von uns. Vor Angst bin ich wie gelähmt und ad hoc will mir partout nichts aus meinem Selbstverteidigungskurs einfallen. Der Typ hält mich von hinten fest während sein Kumpane mit Moppi um unseren Rucksack ringt. In Panik schreie ich so laut, dass ich mich selbst erschrecke. Moppi hat unseren Rucksack fest umschlungen und lässt keinen Millimeter locker. Alles in allem dauert es weniger als eine halbe Minute bis die beiden von uns ablassen und ob der Aufmerksamkeit, die ihnen langsam zu Teil wird, die Flucht ergreifen. Uns kam es wie eine kleine Ewigkeit vor.

Rios farbenfrohe Altstadt

Was für ein Glück wir hatten! Scheinbar waren beide Gauner echte Anfänger. Keiner hatte eine Waffe dabei und obwohl beide einen halben Kopf größer als wir waren, mussten sie ohne Beute wieder abziehen. So kommen wir mit ein paar blauen Flecken und unseren gesamten Wertsachen, samt Papieren, davon. Moppi verleiht das wahre Adrenalinschübe, mir wird dieser Vorfall noch lange nachhängen. Ab jetzt lassen wir alle Wertsachen in der Wohnung und statt allein loszuziehen, schließen wir uns doch wieder geführten Touren an. Die erste führt uns in die Altstadt von Rio und zum beeindruckenden Stadttheater, der Nationalbibliothek, dem Carioca Platz und der herrlichen Colombo Konditorei, einem schicken Kaffeehaus aus dem 19. Jahrhundert.

Glamouröse Kaffeekultur im Zentrum

Carioca bezeichnet übrigens alles, was mit Rio de Janeiro zusammenhängt, so wie Paulista alles in São Paulo beschreibt. Das Wort Carioca kommt vom Stamm der Tupinambá und bedeutet wörtlich „Hütte des weißen Mannes“. Am Ende der Tour kehren wir in einer Taverne in Lapa ein um Feijoada zu essen, ein typisches brasilianisches Gericht aus allen möglichen Fleischresten, Innereien und schwarzen Bohnen. Das Gericht stammt von den importierten afrikanischen Sklaven, die damals nur die Reste der Hausherren zu essen bekamen. Zu einigen Orten der Tour kehren wir in den nächsten Tagen noch einmal zurück und in der Nationalbibliothek bekommen wir sogar eine Privatführung von einem der Bibliothekare. Den Zuckerhut und die Fahrt zur Cristostatue sparen wir uns, die haben wir aus so vielen Ecken der Stadt gesehen, dass wir das viele Geld für die Seilbahnfahrt lieber an einem unserer nächsten Ziele ausgeben. In einer weiteren Gruppentour spazieren wir entlang der Strände Ipanema, Copacabana und dem herzförmigen See Lago Rodrigo de Freitas. Die spannendste Tour haben wir allerdings nachts: eine Pubtour. Ja ,es mag touristisch klingen, aber es war ein Riesenspaß!

Gefühlt der 100ste Strand unsere Reise, aber trotzdem schön

Los geht es in einer kleinen Bar, in der Caipirinha in rauen Mengen fließt. Von da aus ziehen wir weiter mitten ins Wochenendnachtleben von Lapa. Wir dachten, wir kennen das quirlige Nachtleben aus Berlin, aber das hier ist um Längen lebendiger. Die Straßen sind voll mit Menschen, überall in und vor den Bars trinken und lachen die Leute. Die Fenster der Bars sind alle weit offen, Sambabands spielen auf kleinen Bühnen oder einfach in der Ecke auf einer freien Sitzgruppe oder draußen an einem kleinen Tisch mit Barhockern. Richtig angeheizt von der bombigen Stimmung geht es zwei Stunden später in eine der traditionsreichsten Discos Rios, das Rio Scenario. Unser Guide führt uns direkt vorbei an der langen Schlange am Eingang und schon sind wir drin in dieser schicken dreistöckigen Villa, die innen mit alten Accessoires und allerlei Kuriositäten geschmückt ist. In jedem Raum spielt eine andere Band jeweils ganz unterschiedliche Musikstile. Nach genug Samba auf den Straßen bleiben wir bei einer Rockband hängen und tanzen seit Langem mal wieder. Im Getümmel verliert sich langsam unsere Kneipentourgruppe und irgendwann machen auch wir uns auf den Weg nach Hause. Raizza hat uns vorm Ausgehen ans Herz gelegt, dass egal wie nah wir fußläufig an zu Hause sind, wir ein Taxi nehmen und bitte nicht laufen sollen. Sie erzählt, wie viele Gäste ihren Rat schon missachtet und es bitter bereut haben. Fünf Minuten später sind wir daheim und kurz darauf auch schon im Bett. Am nächsten Morgen müssen wir früh raus, wir sind reif für die Insel.

2 Gedanken zu “Rio de Janeiro – ein heißes Pflaster

  1. Wieder ein schöner Artikel! Auch wenn er einen traurigen Höhepunkt beinhaltet. Gott sei Dank ist euch echt nichts weiter passiert. Schreien kann eben auch eine gute Selbstverteidigung sein.

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