Mit der letzten U-Bahn auf die Insel

Nach der Aufregung in Rio steht uns erst einmal der Sinn nach einem ruhigeren Ort. Es geht nach Ilha Grande, einer entspannten und wie wir hörten sehr sicheren Insel, 160 km von Rio de Janeiro entfernt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts diente die Insel als Quarantänelager für cholerakranke Einwanderer aus Europa und Asien, danach beherbergte sie bis in die 90er Jahre eines der berüchtigtsten Hochsicherheitsgefängnisse des Landes. Bis auf die Insassen, hauptsächlich Mörder und Drogenbosse, lebten hier nur das Gefängnispersonal und ein paar griechische Fischerfamilien. Der Tourismus kam erst in den letzten 20 Jahren auf. Die meisten Gefängnisgebäude wurden gesprengt, das Lazarett, oder was davon noch übrig ist, kann man aber noch besichtigen.

Willkommen auf Ilha Grande bei Madame Mara und Monsieur Claude

Als wir uns in Rio auf den Weg zum Busbahnhof machen, ist mir gar nicht wohl. Der letzte Caipirinha gestern Abend im Club war vielleicht ein bisschen zu stark. Moppi, der fast gar nichts in den ganzen Caipi-Bars getrunken hat, ist im Vergleich ziemlich fit. Die Busfahrt nach Angra dos Reis läuft noch ganz gut, aber die anschließende Schifffahrt nach Ilha Grande setzt mir arg zu. Wie so oft haben wir auch dieses Mal keine Unterkunft im Voraus gebucht. Das heißt, mit flauem Magen von der Überfahrt und den Cocktails der letzten Nacht plus unserem ganzen Gepäck die Insel nach einer geeigneten Bleibe absuchen. Oh, ich verfluche uns für unsere Spontaneität. Wir laufen von einem Hotel, einer Pousada zur nächsten. Die meisten sind teuer oder ausgebucht oder beides. Mir geht es immer übler. Irgendwann greifen wir einfach zu und buchen uns, zumindest erst einmal für zwei Nächte, in einer schattigen, zweistöckigen Unterkunft mit kleinem Innenhof ein. Während Moppi in der Hängematte liegt und liest, hüte ich Bett und Bad.

Zivilisation gibt es nur in Strandnähe, der Rest ist Dschungel

Die ersten zwei Tage regnet es fast ununterbrochen. Eine richtige Erkundung der Insel fällt damit zunächst aus. Da die Unterkunft auch nicht so toll ist, nutzen wir die kurzen regenfreien Zeiten, um uns nach etwas anderem umzusehen. Wenn möglich möchten wir direkt am Meer wohnen und das Zimmer soll unbedingt einen Tresor haben. Seit dem Überfall sind wir ein klein wenig paranoid und wollen sichergehen, dass unsere Wertsachen gut aufgehoben sind. Keine Ahnung, ob es gutes Karma oder einfach nur eine ordentliche Portion Glück ist, auf alle Fälle werden wir fündig. Es ist eine kleine Pension am Strand, liebevoll eingerichtet und betrieben von Madame Mara und Monsieur Claude. Senhor Claude ist vor über einem halben Jahrhundert aus Frankreich nach Brasilien gekommen. Eigentlich ist er Fleischer. In den ersten Jahren in Brasilien hat er sich einen Namen in der Gourmetszene in Rio gemacht und mit seinen Pasteten und Würstchen Spitzenrestaurants und Konsulate beliefert. Auf die Insel gekommen ist er als hier noch der Gefängnisbetrieb und die Sardinenfischerei das Leben bestimmten. Irgendwann hat er dann mit seiner Frau die Pousada Mara e Claude aufgebaut und wir sind sehr froh, dass wir dieses Kleinod gefunden haben.

Ins Lazarett mussten wir uns durch eine Mauerlücke quetschen

Eine knappe Woche mieten wir uns bei Mara und Claude ein. Jeden Morgen begrüßt er uns beim Frühstück mit den Worten: „Ah, da seid ihr ja! Ihr seid immer die letzte Métro.“ – eine französische Redensart für Leute, die immer auf den letzten Drücker kommen. Überhaupt ist es schön, sich mal wieder richtig verständigen zu können, für mich mehr als für Moppi. Viel gibt es auf Ilha Grande nicht zu tun und so verbringen wir unsere Tage mit süßem Faulenzen: lesen, in der Sonne liegen, schwimmen, Schach spielen. Im Innern der Insel spazieren wir durch den Urwald, besichtigen das Lazarett und das quer durch den Dschungel gebaute Viadukt. Die Baumwipfel rings umher wimmeln nur so von Affen, die man zwar selten sehen, aber immer hören kann. Bei unseren Wanderungen begleitet uns ein ständiges, mal lauteres, mal leiseres, sonores Brüllen von Affenhorden, die uns ziemlich dreist aus dem undurchsichtigen Blätterdach mit kleinen Steinen bewerfen. An manchen dunklen Stellen im Wald ist das sogar ein bisschen gruselig.

Die Schönheit im Hintergrund können wir gerade nicht genießen

Was uns auf Ilha Grande sehr zu schaffen macht, sind die vielen Mosquitos. Trotz langer Shirts und dicken Schichten Mosquitogels lassen sie nie von mir ab und zerstechen mich schon beim Frühstück. Moppi dagegen kommt trotz fehlender Vorkehrungen mit einer Handvoll Stichen davon. Nach einer Woche packen wir unsere Sachen wieder und ziehen zurück aufs Festland. Es geht nach Salvador da Bahia, zu meiner Freundin Castalia. Sie hat in der 11. Klasse einen Schüleraustausch gemacht, bei uns im Dorf bei einer Gastfamilie gewohnt und wir gingen gemeinsam in eine Klasse. 13 Jahre haben wir uns nicht gesehen, ich freue mich total auf das Treffen. Bereits auf dem Boot zurück zum Festland geht es mir nicht gut und im Bus wird es immer schlimmer. Als wir am Flughafen angekommen, geht es mir richtig dreckig. Ich schwitze und friere, habe Bauchkrämpfe und muss mich erstmal hinlegen. Moppi hat gut damit zu tun, mir Sachen überzuziehen und gleichzeitig meinen Kopf zu kühlen. Zwei Polizisten laufen schon eine ganz Weile argwöhnisch in unsere Nähe auf und ab. Scheinbar sehe ich aus wie ein Drogenjunkie auf kaltem Entzug. Wir überlegen kurz, ob wir den Flughafenarzt aufzusuchen sollten, befürchten aber, dass er uns dann nicht fliegen lässt und eigentlich sind es nur zwei Stunden Flug. Also liege ich weiter krampfend und zitternd auf der Bank und halte durch. Der anschließende Flug wird wie befürchtet eine einzige Qual.

4 Gedanken zu “Mit der letzten U-Bahn auf die Insel

  1. oh mann….so etwas kann einem wenigstens in Finnland mit den Mücken nicht passieren….Gut, das alles noch einmal gut ausgegangen ist.

  2. Klasse, dass auch mal wieder ein Moppi-Bild mit dabei ist. Oder ist das das Gollum-Double aus LotR? 😉
    Danke, dass Ihr immer noch so tapfer schreibt 🙂

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