Kalkutta – unser Tor nach Indien

Von Bangkok aus fliegen wir nach Indien. Schon im Landeanflug auf Kalkutta sieht man die dicke, graue Smogschicht über der Stadt und ich ahne bereits, dass es hier irgendwie schwieriger werden wird. Am Flughafen buchen wir ein Prepaid-Taxi um den sonst üblichen und nervigen Preisverhandlungen vorzubeugen. Mit dem bezahlten Ticket, auf dem bereits das Fahrziel eingetragen ist, gehen wir zum Taxistand und steigen in das erstbeste Taxi ein. Der Taxifahrer nimmt das Ticket entgegen, steigt aus und geht weg. Allein und verwirrt bleiben wir im Taxi zurück. Es stellt sich heraus, dass der Taxifahrer nicht lesen kann. Um uns zu unserer Unterkunft zu bringen, musste er zunächst einen Kollegen bitten, ihm das Ziel der Fahrt vorzulesen. Danach geht es dann aber mit doppelter Geschwindigkeit und unter ständigem Hupen durch die Stadt. Fahrstreifen gibt es nicht, unser begnadeter Fahrer drängelt sich einfach überall durch, wo gerade Platz ist. Mehrmals kralle ich mich erschrocken fest, wenn wir gefährlich knapp einem Unfall entgehen. Aber nach einer Weile gewöhnt man sich an die Fahrweise. Moppi hat ein breites Grinsen im Gesicht und scheint die Fahrt zu genießen.

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Juchhu, wir sind da

Wir wohnen wieder privat. Dieses Mal ist unser Gastgeber Samidh, ein jung gebliebener Inder um die 70 und eine beeindruckende Persönlichkeit. Er hat fast die ganze Welt gesehen, hat in aller Herren Länder als Elektroingenieur gearbeitet und war als junger Mann auch 2,5 Jahre in Deutschland tätig. Sein Deutsch ist immer noch ziemlich gut. In seiner Freizeit hat er früher Theater gespielt und gesungen. Letzteres macht er heute noch. Ok, ich gebe zu, dass wir ihn gewählt haben, weil im Internet stand, dass er eine Karaokeanlage besitzt. Er wohnt in einem großen Haus im Zentrum und das für uns bestimmte Zimmer ist einfach, aber riesig. Bevor wir totmüde ins Bett fallen, gehen wir noch um die Ecke original bengalisch essen. Keines der Gerichte auf der Karte kommt uns bekannt vor. Die bengalische Küche ist anscheinend sehr verschieden von dem, was in Deutschland allgemeinhin in indischen Restaurants serviert wird. Wir bestellen auf gut Glück und erhalten beide ein Fischgericht. Fisch ist, wie wir später von Samidh erfahren, Teil der meisten bengalischen Gerichte.

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Wohnen und Leben direkt am Straßenrand

Indien war eines unserer großen Wunschziele für diese Reise. Die nächsten Tage werden zeigen, ob das Gelesene und Gehörte wirklich so ist. Als Moppi und ich am nächsten Morgen das erste Mal durch die Straßen gehen, ist der erste Eindruck schwer zu verdauen. Es ist voll, es ist laut, es ist schmutzig und die Armut ist allgegenwärtig. Noch nirgends haben wir so viele Obdachlose gesehen. Ganze Familien hausen unter den Brücken der Stadtautobahn. Mütter schlafen mit ihren nackten Babies im Arm auf Decken auf dem Gehweg. Andere wohnen unter Planen mit all ihrem Hab und Gut direkt an der Straße. Kleine Kinder mit verfilzten Haaren durchwühlen den Müll. Es ist traurig, irgendwie unbegreiflich. Man schämt sich für den eigenen Wohlstand und fühlt sich gleichzeitig hilflos gegenüber dieser übermächtigen Armut. Es ist schwer nachzuempfinden, dass das für alle anderen hier Alltag ist, nichts Besonderes und anscheinend auch nichts Erschreckendes. Als wir am dritten Tag im Kloster der Missionarinnen der Nächstenliebe den Lebensweg von Mutter Theresa studieren, können wir zumindest grob erahnen, was für ein aufopferungsvolles Leben sie geführt haben muss. Sie hat ihr Leben der Unterstützung der Armen verschrieben. Hier in diesem Kloster ist sie 50 Jahre dieser Aufgabe nachgegangen. Man kann die kleine Kammer sehen, in der sie gewohnt und gearbeitet hat und in der sie auch gestorben ist. Wir besuchen auch das Mutter-Theresa-Sterbehospiz, finden es aber unangemessen, hinein zu gehen, obwohl das für Besucher durchaus möglich ist.

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Das Victoria Monument

Während unsere Zeit in Kalkutta unternehmen wir mehrere Touren durch die Stadt und schauen uns natürlich auch die bekanntesten Sehenswürdigkeiten an. Im 18. und 19. Jahrhundert war Kalkutta der wichtigste Knotenpunkt der East India Company. Der britische Einfluss ist nicht zu übersehen, vor allem in der Architektur. Die Straßen sind von alten britischen Häusern gesäumt, an denen der Zahn der Zeit allerdings schon ganz schön genagt hat. Einen Kontrast dazu bildet der weiße Mamorprunkbau des Victoria Monument, der genauso gut in London stehen könnte. Eine ganz besondere Atmosphäre spüren wir auf dem britischen Park Street Cemetery. Dieser ist ein alter Friedhof für Verstorbene der East India Company. Statt simplen Grabsteinen stehen hier halb vom Dickicht überwachsene imposante Gruften inmitten riesiger Bäume. Es fühlt sich richtig mystisch an. Das einzige was stört, ist der ständige Verkehrslärm, den man überall in der Stadt hat. Die verstopften Straßen werden von einem stetigem Hupkonzert begleitet. Jeder hupt beim Überholen, wenn es ihm nicht schnell genug geht oder jemand neben ihm geht oder fährt, also praktisch immer.

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Tata-Taxis sind überall zu bekommen, hier vor dem Park Street Friedhof

Woran ich mich gar nicht gewöhnen kann, ist, dass uns die Leute permanent anschauen. Das ist der Hauptgrund für meinen fetten Kulturschock. Es liegt wohl an mir, denn Moppi sagt, wenn er allein unterwegs ist, passiert das nicht. Frauen schauen nur einmal im Vorbeigehen, aber die Männer starren regelrecht und drehen sich noch dreimal um. Manche fotografieren uns heimlich oder laufen uns nach um uns länger beobachten zu können. Kaum einer spricht uns an. Es wäre mir sogar lieber als nur Angeschautwerden, denn die meisten schauen nicht gerade freundlich und ich habe keine Ahnung, was in ihren Köpfen vorgeht. Bei Frauen und Kindern kann ich mich manchmal zu einem Lächeln und Winken durchringen und bekomme dann auch ein Lächeln und Winken zurück. Bei Männern bin ich in der Hinsicht lieber zurückhaltend.

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Viele Dienstleistungen werden direkt am Straßenrand angeboten

Nach einigen anstrengenden Tagen steht uns beiden der Sinn nach etwas Ruhigerem. Der Lärm, die schlechte Luft und ein Unwohlsein, das mich ständig begleitet, lassen wenig Raum für Entspannung. Da ich immer wieder Fieber habe, beschließen wir noch zwei Tage mit unserer Weiterreise zu warten. Samidh ist leider ausgebucht, aber er mietet uns in ein Gästehaus in der Nähe ein. Moppi macht sich allein auf den Weg um noch ein paar organisatorische Dinge zu erledigen. Als Tourist werden einem leider viele Steine in den Weg gelegt. Die indische Prepaid-Simkarte bekommt er nicht ohne indischen Wohnsitz oder Bürgen. Die Zugtickets für unsere Weiterreise werden ihm auch nicht verkauft ohne indische Handynummer. Als er mit leeren Händen zurückkommt, ist er es, der den Kulturschock hat. Wir sind immer mal abwechselnd frustriert vom Lärm, Dreck, Angestarrtwerden, Bürokratie etc. und müssen uns dann gegenseitig wieder auf den Boden holen. Wir stellen fest, dass wir ganz schön verwöhnte Mitteleuropäer sind.

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Samidh und Moppi im Duett

Am vorletzten Abend zeigt uns Samidh die richtig schicken Seiten Kalkuttas. Er kennt die Stadt wie seine Westentasche, kennt jedes Restaurant und jede Bar. Er führt uns in die besten Lokale der Stadt mit Livemusik und erstklassigem Service. Natürlich hilft er uns auch mit seiner Handynummer für die Buchung der Zugtickets aus. Am letzten Abend besuchen wir ihn noch einmal zu Hause und endlich kommt auch die Karaokemaschine zum Einsatz. Wir sind beeindruckt. Egal ob Frank Sinatra, Nat Kingcole oder das Phantom der Oper – Samidhs kräftige Stimme hallt durchs Wohnzimmer und auf die Straße und lässt keinen Zweifel an seinen Gesangsfähigkeiten. Wir verabschieden uns herzlich und am nächsten Morgen machen wir uns auf zum Bahnhof und auf eine Reise Richtung Norden, in die Berge.

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Im Zug in der offenen Tür stehen oder sitzen ist ganz normal


Kolkata – our gateway to India

From Bangkok we flew to India. While landing you could already see the thick grey smog layer over the city and I guessed that it will get more difficult here. At the airport we booked a prepaid taxi to avoid the usual price bargaining hassle. With the paid ticket, already stating our destination, we got into the nearest taxi. The driver took our ticket and left. Alone and confused we stayed in the car. It turned out the driver could not read, so he had to ask a colleague to read him our destination. Then we went with double speed and continuous honking through the city. There are no specific lanes, but our pro driver just sneaked through wherever there was some small space. A few times I got scared and clinged to the seat when we were yet again so close to a car crash, but after a while you get used to the way of driving. Moppi was grinding broadly, he seemed to enjoy the ride a lot.

We booked a homestay again. This time our host was Samidh, a young at mind Indian in his 70s with an impressive personality. He travelled almost the whole world, worked as an electric engineer in oh so many countries. As a young man he has been working in Germany for 2.5 years, and his German is still pretty good. In his spare time he has been playing theatre and singing. The latter he is still practicing today. Ok, I admit that we picked him because he had written in the internet about having a karaoke machine. He lives in a big house in the city centre and our room is simple but huge. Before sleeping like in coma we went for a Bengal dinner around the corner. None of the meals on the menu sounded familiar to us. The Bengal cuisine seems to be very different from what they serve in the Indian restaurants in Germany. We ordered by chance and both got a fish dish. Fish is, as Samidh explained us later, part of most Bengal dishes.

India was one of our favorite destinations for our grand trip. The next days would show if everything we heard and read was true. When Moppi and I went out on the streets the next morning the first impressions were hard to digest. It is crowded, noisy, dirty and the poverty is visible everywhere. Nowhere else have we seen so many homeless before. Whole families live under the bridges of the city highways. Mothers were sleeping embracing their naked babies on a blanket on the sidewalk. Others were living with all their small possessions under a canvas directly at the street. Little kids with elflock were rummaging in the garbage. It is sad, hard to believe. You feel ashamed for your own wealth on the one hand, and helpless for this overwhelming poverty on the other. It is hard to understand that for locals this is everyday life, nothing special, and surely nothing distressing. When we visited the missionary of charity the third day and studied the biography of Mother Theresa, we could sense what selfless life she must have lived. She has dedicated her life to the support of the poorest of the poor. In this monastery she has been pursuing her task for over 50 years. You can see her little chamber where she has been living and working and where she also died. We also visited the Mother Theresa home for the dying but found it inappropriate to enter, even though visitors are welcome.

During our stay in Kolkata we took a few tours around the city and had a look at the top sights. In the 18th and 19th century Kolkata was the most important hub of the East Indian Company. The British influence is still visible, especially in architecture. There are old British houses along mosts streets, but time has taken its toll though. A contrast thereto is the magnificent building of white marble of the Victoria Monument, that could have been built the same way in London. A very special atmosphere can be felt in the British Park Street Cemetery. This old cemetery is only for deceased members of the East India Company. Instead of simple tombstones there are impressive big monuments and crypt graves partly grown over by thickets and surrounded by large trees. It felt quite mystique. The only disturbing thing was the traffic noise like everywhere in the city. The crowded streets are always accompanied by a constant honking concert. Everyone honks while overtaking, if traffic is not flowing fast enough, or if someone walks or drives next to him, so basically people honk all the time.

What I absolutely could not get used to was being looked at all the time. This was the main reason for my severe cultural shock. It must be me, because Moppi said it was not happening when he has walking alone. Women only looked once when passing by, but men really stared and turned their heads a few times. Some photographed us secretly or even followed us to be able to watch us a bit longer. Hardly anyone approached us though. I would have preferred this than being stared at, because most people did not look in a friendly way and I had no clue what they were thinking. Concerning women and kids I could convince myself to smile and wave at them and usually I got a smile and wave back. I was rather cautious in thus respect with men.

After some exhausting days we longed for some more quiet place. The noise, bad air and me constantly feeling unwell did not get us relaxed. Because I had a fever from time to time we decided to delay our departure for two days. Samidh was booked out unfortunately, but he helped us a lot and booked a room for us in a guest house nearby. The next day Moppi went alone to sort out some organizational stuff. As a tourist this is not so easy. He could not buy an Indian prepaid sim card without a permanent address in India or a guarantor. The train tickets for our next trip were not sold to him without an Indian phone number. When he came back empty handed it was him suffering the cultural shock. We took turns in being frustrated about the dirt, noise, being stared at, the bureaucracy etc. and then we had to bring each other back to ground-level from time to time. We noticed that we are quite spoilt Middle Europeans.

The night before last Samidh showed us the chic parts of Kolkata. He knows the city by heart, knows every restaurant and every bar. He took us to the best bars of the city with live music and first class service. Of course he helped us buying the train tickets too. The last night we visited him again at home and we finally used the karaoke machine. We were so impressed. No matter if Frank Sinatra, Nat Kingcole or the Phantom of the Opera – Samidhs powerful voice echoed in his living room and in the streets and left no doubt about his singing abilities. We had a fond goodbye. The next morning we made our way to the train station to go up North to the mountains.

2 Gedanken zu “Kalkutta – unser Tor nach Indien

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